Bis 2034 regiert die Unabweisbarkeit

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, Mitglieder des Stadtvorstands und des Stadtrats, liebe Gäste und Zuschauer:innen,

Es gibt in dieser Haushaltsdebatte auch gute Nachrichten: Die freiwilligen Leistungen im Haushaltsentwurf 2024 der Stadt Ludwigshafen bleiben erhalten – auf dem niedrigen Niveau, das wir in Ludwigshafen seit Jahren gewohnt sind, ohne Inflationsausgleich, aber immerhin. Kultur, Sport, Jugend, Soziales: Es ist traurig, aber wahr, ohne das Engagement der Zivilgesellschaft hätten wir es nicht geschafft, den Bestand von so essentiellen Einrichtungen wie den Stadtteilbibliotheken und dem Sleep In fürs Erste zu sichern. Wir hoffen, dass das auch in den kommenden Jahren so bleiben wird. Wir übersehen dabei nicht, dass es auch im freiwilligen Bereich und bei der Förderung bürgerschaftlichen Engagements seit vielen Jahren einen Niedergang gibt. Ich erwähne hier, aus aktuellem Anlass, die finanzielle Unterstützung der Partnerschaftsvereine, die seit langem und weiterhin rückläufig ist.

Wir entscheiden heute über einen Haushaltsentwurf, der ohne Erhöhung der Grundsteuern und der Gewerbesteuer auskommt. Das kann die Verwaltung nur deshalb vorschlagen, weil sich die Schlüsselzuweisungen des Landes noch einmal um fast 40 Millionen erhöhen werden. Und weil nach zähem Ringen im Bund noch einmal 10 Millionen Bundes- und überwiegend Landesgelder zur Entlastung bei der Pflichtaufgabe Flüchtlingsunterbringung vom Land bereitgestellt werden.

Der Haushaltsentwurf folgt mit dem geplanten Defizit von etwas mehr als 25 Millionen Euro dem Stufenplan aus dem Eckwertebeschluss des Stadtrats: In 10 Jahren soll die Stadt in der Lage sein, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Darüber können sich dann, wenn sie dazu in der Lage sind, ein komplett neu zusammengesetzter Stadtvorstand und ein bis dahin zweimal neu gewählter Stadtrat freuen. Seit ein paar Tagen haben wir es von der Kommunalaufsicht schriftlich: Bleibt es bei der Haushaltskonsolidierung, wie sie im Eckwertebeschluss angestrebt wird, dann wird die Stadt Ludwigshafen 2029 überschuldet sein. Die Kommunalaufsicht gibt uns eindeutig zu verstehen, dass der gültige Konsolidierungsplan schlicht nicht ausreicht. Der Eckwerteplan ist gescheitert.

Bis zum Haushaltsausgleich, also nach aktuellem Stand bis 2034 regiert in Ludwigshafen die Unabweisbarkeit: Neue Maßnahmen dürfen nur begonnen werden, wenn sie unabweisbar sind. Schul- und Kita-Baumaßnahmen sind in vielen Fällen eindeutig unabweisbar, in Ludwigshafen sind das auch die Fernstraßen durch die Stadt, die zu sanieren bzw. neu zu bauen sind. Wobei: Heute steht wieder die Helmut-Kohl-Allee auf der Tagesordnung, im November fand die Grundsteinlegung für die Südhochstraße feierlich statt. Auf unsere Nachfragen sagt die Verwaltung: Förderbescheide liegen immer noch nicht vor. Die Kommunalaufsicht setzt hinter die geplanten Mega-Investitionen der nächsten Jahre ein dickes Fragezeichen. Fakt ist: Nach dem Buchstaben der Haushaltsvorschriften dürften Investitionen, deren Kosten nicht in einem ausgeglichenen Ergebnishaushalt abgebildet werden können, nicht genehmigt werden.

Weitergedacht heißt das: Was nicht als unabweisbar gilt, findet vor 2034 nicht statt. Oder in meinen Worten: Die Stadtverwaltung Ludwigshafen „vertagt“ die Klimakatastrophe: Energiewende, Wärmewende, Mobilitätswende beginnen in Ludwigshafen, wenn es nach der Gemeindeordnung unabweisbar ist. Also vorerst nicht. Dabei hält sich Ludwigshafen in allen nennenswerten Disziplinen auf hinteren Plätzen auf: Kein nennenswerter ÖPNV-Ausbau, kein Radwegeausbau über die fest vereinbarten Pendlerradrouten hinaus, zu wenig Photovoltaik, eine hochversiegelte, im Sommer hocherhitzte Innenstadt, zu wenig Stadtgrün. Wir sehen jede Menge Nachholbedarf, der am rechtlichen Kriterium der „Unabweisbarkeit“ wohl auf Dauer scheitern wird.

Wir haben heute auch mehrere Vorlagen auf der Tagesordnung, bei denen es um Kostenbeteiligungen der Stadt Ludwigshafen im ÖPNV geht. Wenn da angekündigt wird, dass die Stadt LU ihren vertraglich vereinbarten Kostenanteil für den Ausbau einer Haltestelle der RHB in Bad Dürkheim zurückzieht, ist das ja „nur“ ein Beispiel, wie man gute Nachbarschaft nicht pflegen sollte. Krasser wird es dann schon, wenn der seit Jahrzehnten geforderte und über viele Jahre hinweg ausgeplante Ausbau der Linie 10 in der Hohenzollernstraße auf den Prüfstand der Unabweisbarkeit kommt. An diesem Punkt sollten wir endgültig auf die Barrikaden gehen! Wir Grüne haben weiterhin Unverständnis dafür, dass zu hohen Anteilen geförderte Vorhaben nicht stattfinden dürfen oder sollen, weil ein kleinerer Teil der Kosten bei der Stadt verbliebe – auch wenn sie über viele Jahre hinweg geplant und vorbereitet wurden. Die Argumente liefert uns die Oberbürgermeisterin selbst: Man sollte nicht in die Situation kommen, dass mit hohem Ressourcenaufwand erstellte Pläne in den Papierkorb wandern. Bitteschön, dann bleiben Sie dabei: Der Bauabschnitt der Linie 10 in der Hohenzollernstrasse muss kommen, und zwar bald!

Die Stadt Ludwigshafen erwirtschaftet einen Teil ihrer Haushaltskonsolidierung damit, dass Investitionsvorhaben im ÖPNV auf die lange Bank geschoben werden. Von der Schaffung guter Radwegeverbindungen ganz zu schweigen. Nachhaltig ist das nicht! Die Mobilitätswende geht anders.

Die Stadt teilt mit, dass die Straßenausbaubeiträge steigen sollen. Gleichzeitig wird der eigentlich nötige Straßenausbau in vielen Fällen zurückgestellt, stattdessen wird repariert. Das aber ohne Nutzung der Straßenausbaubeiträge. Was sicher auch finanziell nicht nachhaltig ist.

Mit der ursprünglich vom Kämmerer vorgeschlagenen Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer wären erwartete Mehreinnahmen von rund 20 Millionen Euro verbunden gewesen. Um das mal im Kopf durchzurechnen: Hätten wir den Mut, das Nötige auch zu tun, bliebe 2024 ein Defizit von rund 5 Millionen übrig. Näher wären wir dem Haushaltsausgleich seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Die Belastung bei beiden Steuerarten ist ungleich, auch wenn in beiden Fällen der größte Steuerzahler wohl BASF heißt. Der das wohl nie mehr gutmachen wird, was mutmaßlich aus einer Strafzahlung in einem lang zurückliegenden Kartellverfahren 2023 an Schaden für die Stadt Ludwigshafen entstanden ist. Eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes hätten wir mitgetragen. Wenn denn klar wäre, dass wir dadurch schneller aus der Gefangenschaft der Unabweisbarkeit herauskämen, dass die haushalterische Bewegungsfreiheit damit wieder zunimmt. Das ist nach allem, was wir wissen, nicht der Fall.

Die Herausforderungen für Ludwigshafen sind gewaltig. Es ist fahrlässig, sie auf zwei Durchgangsstraßen verkleinern zu wollen. Ich nenne einmal unser Bildungssystem an erster Stelle: Wir sind froh darüber, dass die Familiengrundschulzentren kommen, dass die Stadt ihren Finanzierungsanteil an dieser „freiwilligen Leistung“ erbringen wird. In der Diskussion darüber ist aber wohl allen hier klar geworden, dass es unseren Bildungseinrichtungen, unseren Schulen an ganz Vielem mangelt. Die Familiengrundschulzentren sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig sehen wir, dass die Haushaltskonsolidierung im Bereich Schule ihre Opfer fordert. Die Stadt stellt weniger Mittel für ihre Schulen bereit. Das schränkt die Freiheit der Schulen, Angebote zu entwickeln und zu halten, deutlich ein. Und führt zu Verlusten, die bereits spürbar sind.

Ich nenne als weitere Herausforderungen die wirtschaftliche Transformation und selbstverständlich den Klimaschutz mit Mobilitäts-, Energie- und Wärmewende, auch die Klimafolgen, die wir ja schon heftig spüren. 2019, in der Hochzeit von Fridays for Future, haben die hier vertretenen Fraktionen fleißig Anträge zum Klimaschutz geschrieben. Dieser Elan ist schnell geschwunden. Wenn unsere Stadt angesichts dieser Herausforderungen auf mittlere Sicht manövrierunfähig bleibt, kann das nicht unsere Zustimmung finden. Den Haushaltsentwurf für 2024 lehnen wir ab.

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2 Kommentare

    1. Die Haushaltsrede war sicher zu kurz, ein großer Teil der Grausamkeiten blieb unerwähnt. Die erneute Sperrung der Sozialtickets zum Jahresanfang gehört inzwischen schon zur schlechten „Routine“ der Sozialverwaltung und wird von uns natürlich kritisiert. Der „Kahlschlag“ zwischen Rathaus und Hauptbahnhof gehört zu den Vorbereitungen zum Bau der Helmut-Kohl-Allee, den wir ablehnen.