Haushaltsrede im Stadtrat am 15.03.2023
Wir leben in Zeiten permanenter Anspannung. Unsere Stadt kommt aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus. Corona, Krieg in der Ukraine und Energiekrise: Das sind Herausforderungen, die uns alle auf die Probe stellen. Der mutmaßlich größte Steuerzahler am Ort hat jahrzehntelang von Energielieferungen zum Dumpingpreis gelebt und muss nun hektisch sein Geschäftsmodell am Standort transformieren. Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Ludwigshafen gehen weiteren schwierigen Jahren entgegen. Und die Kommunalaufsicht hat just in diesen Zeiten entdeckt, dass die zweitgrößte Stadt im Land auch die meisten Kassenkredite im Hauptbuch stehen hat, und dass es mit den jährlichen Rekord-Neuverschuldungen jetzt ein Ende haben muss.
Fast alle hier im Haus haben verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Stadt Ludwigshafen nicht verschwenderisch haushaltet, im Gegenteil. Die Forderung nach der Konnexität geht uns allen inzwischen flott von den Lippen. Jede Verbesserung in der Kommunalfinanzierung wird binnen kürzester Zeit durch neue Verpflichtungen, die diese Stadt zu erfüllen hat, überkompensiert. Der Appell an Bund und Land, beim Schuldenabbau dringend zu helfen und neue Leistungen, die die Stadt zu erbringen hat, auch wirklich fair zu finanzieren, ist ja gerechtfertigt. Die Erfahrung sagt aber: Wir können darauf nicht bauen. Die Altschuldenübernahme durch das Land und die Veränderungen beim Kommunalen Finanzausgleich sind gerade für Ludwigshafen ein großer Erfolg, aber sie reichen nicht aus.
Die Stadt muss also sparen. Deutlich, sichtbar, mit langfristigen Effekten. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und jetzt kommen wir zu der Erstellung des Haushalts, den wir heute hier diskutieren: Im November, im ersten Entwurf, sah die mittelfristige Planung des Kämmerers immer so um die 100 Millionen Euro Neuverschuldung pro Jahr vor, genau 98 Millionen für 2023. Das hat sich inzwischen geändert. Und wenn wir diese Veränderungen betrachten, dann kommen wir unweigerlich auf das Thema der Aufgabenverteilung in der kommunalen Demokratie: Was ist Aufgabe der Verwaltung, des Stadtvorstands, was ist Aufgabe des Stadtrats?
Wir haben ja noch erfreut zur Kenntnis genommen, dass im Januar, nach Erscheinen der regionalisierten Steuerschätzung, 25 Millionen von den 98 verschwunden waren. Wir waren dann in der Mehrheit schon weniger erfreut, dass wir uns hier mit einer großen Zahl von Mini-Sparvorschlägen konfrontiert sahen, 50 Euro da, 100 Euro dort. Weniger Papier, weniger Reisekosten, weniger Sachkosten. Mehr oder weniger freiwillig angebotene Mini-Ausgabensperren. Dazu Verschiebungen bei Stellen-Wiederbesetzungen. In meiner Sicht ist das sehr weitgehend Verwaltungshandeln. In dieser Zeit angemessen, aber nicht gerade eine Aufgabe für den Stadtrat. Weitere Themen auf der Verbesserungsliste waren schon spannender: 7,5 Millionen aus Kita-Förderabrechnungen, die bis in das Jahr 2009 zurückreichen. Spätestens in einem halben Jahr, wenn wir in die nächste Haushaltsrunde für 2024 gehen, werden wir hoffentlich hören, was davon tatsächlich realisiert werden kann. Jede Menge Einmaleffekte in erheblicher Höhe, in der Gebäudewirtschaft, beim Digitalpakt. Verschiebungen, die den Namen Einsparung nicht verdienen. Maßnahmen, die definitiv 2023 nicht mehr begonnen werden können, wurden aus dem HH-Plan entfernt. Auch das eigentlich keine Aufgabe des Stadtrats.
Und dann die Aufreger-Vorschläge: Schließung der Stadtteilbibliotheken, Schließung der Drogenhilfeeinrichtung Sleep Inn, Beendigung des Sozialtickets, Erhöhung der Musikschulbeiträge, kürzere Freibadsaison. Ich würde darauf wetten, dass die Verwaltung das selbst nicht wollte. Hat prompt geklappt: Was uns von der Verwaltung fachlich nicht ausreichend erklärt wurde, haben die Bürgerinnen und Bürger, die Betroffenen gut erledigt: Sie haben uns hinreichend darüber informiert, was damit angerichtet würde, Kompliment. Und die bescheidenen finanziellen Dimensionen dieser niedrigen fünf- bis sechsstelligen „Sparvorschläge“ taten ein Übriges.
Der komplette Prozess zur Überarbeitung des Haushaltsplans seit Januar bis heute war verkorkst. Das fängt damit an, dass die oben zitierte Verbesserungsliste uns aus der Doppik mal kurz in die Kameralistik zurückgeführt hat. Die „Verbesserungsvorschläge“ sind jeweils mit einer Summe versehen, die man im eigentlichen HH-Plan nicht findet. Man kann beides also nicht nebeneinanderlegen. Die Verwaltung reklamiert zu Recht die haushaltstechnische und fachliche Begründung der Verbesserungsvorschläge für sich, und weist die politische Verantwortung dem Stadtrat zu. Nur: Dann muss die Haushaltsrelevanz und die fachliche Verantwortbarkeit der Vorschläge auch klar dargelegt werden, und das fand nicht statt, oder mit gehöriger Verspätung auf eindringliche Aufforderungen hin. Dem 6-aus-49-Verfahren, in dem die Fraktionen jeweils ankreuzen sollen, was sie an Sparvorschlägen nicht mitzutragen gedenken, haben wir uns daraufhin verweigert.
Zu den Merkwürdigkeiten der vergangenen Wochen gehört die ständige Vermischung von Haushaltsprozess 2023 und langfristiger Konsolidierung; Vorschläge wandern hin und her. Die veröffentlichte Vorschlagsliste der OB, die sie wieder zurückgezogen hat: Aber natürlich existiert sie und hat Einfluss auf die Diskussion in der Haushaltskonsolidierungskommission, die jetzt endlich begonnen hat. Haushaltssitzungen auf Dezernatsebene, in denen klar formuliert wird: Macht Euch um bestimmte Dinge keine Gedanken, die kommen sowieso nicht. Dialogangebote an die Ortsbeiräte, die entweder von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind, wie in der zweitägigen Hauptausschusssitzung im Februar, oder im Nachhinein wieder kassiert werden.
Und jetzt das vorläufige Finale: Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, die Rückkehr der großen Koalition vorherzusagen. Zurück in die Zukunft. Es ist der Verwaltung nicht gelungen, mit einem Stadtrat der 9 Fraktionen und ohne klare Mehrheiten transparent zusammenzuarbeiten. Wir sind selbstverständlich zufrieden mit einer Einigung, die die Schließung der Stadtteilbibliotheken, die Schließung der Drogenhilfeeinrichtung Sleep Inn, die Beendigung des Sozialtickets, die Erhöhung der Musikschulbeiträge, die Verkürzung der Freibadsaison verhindert. Aber, Herr Guthier: Wenn Sie jetzt zumindest symbolisch beim Bliesfestival die Förderung kürzen, dann hat das mehr mit Machtspielchen zu tun als mit Sparwillen. Es bleibt dabei, dass Ludwigshafen auch im Kulturangebot für jüngere Zielgruppen Nachholbedarf hat. Kürzungen bei der Freien Kulturszene greifen unweigerlich den – seit Corona so genannten – Soloselbstständigen in die Tasche, den Künstlerinnen und Künstlern, den kulturellen Kleinbetrieben. Wir sehen den Vorschlag von SPD und CDU kritisch. Wenn die Schulen in Ludwigshafen die Budgets gekürzt bekommen, wenn die Kita-Sozialarbeit erst im Herbst ihre Arbeit aufnehmen soll, geht das auf Kosten heranwachsender Generationen, die in Ludwigshafen in den letzten Jahren noch mehr als anderswo gelitten haben.
Das Ergebnis einer nun über drei Monate andauernden Spardiskussion ist: Der größte Sparbeitrag wird wohl durch die haushaltslose Zeit erbracht, durch die vielen Maßnahmen, die abgesagt oder verschoben werden mussten. Dieser Haushalt sieht am Ende des Tages wohl genehmigungsfähig aus – in unseren Augen ist das weiterhin viel zu viel Improvisation und zu wenig Strategie. Der Eindruck, dass in der Verwaltung gegeneinander und nicht miteinander gearbeitet wird, hat sich weiter verdichtet. Mit diesem Haushaltsplan und dem voraussichtlich mehrheitsfähigen Änderungsantrag stehen wir in einem halben Jahr, wenn der Haushaltsentwurf 2024 eingebracht werden soll, wieder dort, wo wir im November 2022 standen. Unsere Forderung: Wiederholen Sie dieses Theater nicht! Es war teilweise unwürdig und führt uns mit Sicherheit nicht zurück zu ausgeglichenen städtischen Haushalten. Den heute vorgelegten Haushaltsanträgen können wir unsere Zustimmung nicht geben.